Die Menschen
Es ist noch gar nicht so lange her, dass uns etwas sehr Eigenartiges passiert ist. Der Winter näherte sich, die Bäume waren bereits nackt und erfroren in der bibbernden Kälte, und die Menschen fro – nein, sie waren in ihren Heizungskokons sicher eingebettet. Und wie wir in der Küche saßen, beobachteten wir von Zeit zu Zeit zwei Menschen, die sich in unserem Garten aufhielten. Anscheinend hielten sie den Kunstrasen für ein gemütliches Bett, denn unter dem Tisch kuschelten sie sich zusammen. Sie und er. Und ich war ganz hingerissen von diesem Spektakel, beobachtete die beiden, wie sie sich einander Wärme spendeten, wie sie ihre Schichten aufteilten, um ihr neues Zuhause zu bewahren. Ich bemerkte dabei, dass ihm ein Fuß fehlte, er humpelte und hatte Schwierigkeiten, sich fortzubewegen. Aber ich beobachtete auch, dass meine Mitmenschen besorgt wurden. Es wurde ihnen zu viel, man konnte nicht mehr nach draußen gehen, wenn die beiden Menschen dort waren! Doch gingen sie nicht raus, denn draußen kratze die Kälte auf der Haut. Ich überredete sie, aus dem Interesse heraus, weiter mein Pärchen beobachten zu können, dass sie bleiben könnten, was ihren Aufenthalt schließlich nur um ein paar Tage verlängerte. Denn als wir den Fötus unter dem Tisch entdeckten, war es zu viel. „Tio mio, lo siento pero no podeís quedarvos!“, sagt sie, zog sich an und wickelte den warmen Fötus in ein Küchentuch ein. „Was tun wir jetzt damit?“, fragte ich sie. Wir waren ratlos. Ich konnte nicht zusehen, konnte mir gar nicht vorstellen, was gerade passierte, vorstellen, dass wir gerade das Baby meiner Menschen wegnahmen. Das sie behütet haben, um das sie sich kümmerten. Doch für sie stand die Entscheidung fest. Bei den Mülltonnen auf der Straße konnte man es verstecken, vielleicht würden die Eltern es dort finden, versuchte sie mich zu beruhigen. Doch ich war aufgelöst. Als ich kurz darauf, als das Baby entsorgt war, wieder durch das Küchenfenster blickte, sah ich die beiden, suchend, mich anschauend, ich sah die Trauer in ihren Augen. Ich hab es nicht. Ich war es nicht, versuchte ich ihnen verständlich zu machen. Doch alles was ich in ihren Augen sah, war Verständnislosigkeit. Die Wochen danach kamen sie immer wieder, mehrmals am Tag. Ich war es nicht, was hätte ich tun sollen, sagte ich. Und nach dem Winter sah ich sie nie wieder.
Die Tauben
Es ist widerlich, es macht diese Stadt zu einem dreckigen Fleck auf der Karte und zeigt, wie weder die Stadt noch die Leute das Taubenproblem hier meistern können. Anfangs sah man sie noch unter den Brücken, in den Ecken, dort wo niemand hinzugehen vermochte. An den dreckigsten Orten, wo es stank und weder Licht noch Regen hineindrangen. Genau dort hatten sie sich ihr Nest gebaut. Sei es, weil es stank, sei es, dass sie selbst den elendigen Geruch verbreiteten, es ist einfach nur widerlich. Und weil es gerade einer der Hauptwege ist, so ist es nicht selten, dass man sie sieht. Die Tauben, in ihren Nestern aus Müll und Dreck. Verwahrlost und elendig. Krank und verwundet. Sie geben ächzende Geräusche von sich, manchmal schlafen sie auch einfach nur. Doch wenn sie nicht beschäftigt sind, spürt man ihre Blicke auf sich ruhen. Die erwartungsvollen Blicke, begierig darauf, dass man ihnen ein Stückchen Brot hinwirft, sogleich verschlingend im wilden Ansturm. Wie kann die Stadt es nur zulassen, dass Tauben in dieser Lage leben, dass die Promenade so verunstaltet wird? Wie tief sind wir gesunken? Aber wenn es doch nur bei der Promenade bleiben würde. Auch in der Stadt sieht man sie. Sie sind jünger, doch tummeln sie sich an der Kirche, an der S-Bahn Haltestelle zusammen, immerzu in Gruppen. Wahrscheinlich wohnen sie nicht unter Brücken aber zeigen, dass die Stadt nicht in der Lage ist, das Taubenproblem zu lösen, dass ihnen an Empathie mangelt, sie zu versorgen. Jetzt, wo es kälter wird sehe ich sie sogar fast täglich unter der Unterführung vor meiner Haustür. Tauben in ihren Nestern aus Müll, friedlich schlafend. Ich würde sie gerne darauf aufmerksam machen, dass sie meinetwegen bei uns im Hausflur die eisige Nacht verbringen könnten, doch weiß ich, dass das nicht nur dem Vermieter zuwider kommt, sondern zudem einen Ansturm auslösen würde, dann würden nämlich alle Tauben kommen, angelockt von der Heizung, dem Schutz, meiner Gutmütigkeit. Sie würden alle bei uns im Flur ihr Lager aufschlagen wollen, ihren Geruch und Dreck bei uns in die Wände eingravieren. Und das will der Vermieter nicht.
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